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FRED MAERKER - TEXTE

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Jana Marco: Zu den Gouachen Fred Maerkers

Hamburg 15.3.1999


Meine Bilder verbergen nichts. Ich male sichtbare 
Bilder, die Unverständliches hervorrufen. 
Ich kann die Menschen nicht davon abhalten, 
meine Bilder zu interpretieren. Wenn sie es 
vorziehen zu versuchen, eher durch Mauern zu 
gehen als durch die Tür, was kann ich schon daran ändern?

(René Magritte) 

 

Gegensätze, Brüche unterlaufen Fred Maerker nicht, was das Handwerk betrifft, seine Konflikte bezüglich der endgültigen kompositorischen Form des Oeuvres spielen sich im Kopf ab, die Recherche der Bildfindung wird mit Akribie in Szene gesetzt. Die Gouachen, gewissermaßen Inventio und Wegbegleiter zu den Studien und großen Tempera-Bildern, sind so gesehen wie die raffinierten kleinen Schwestern der großen Brüder, der Rhythmus der Umrisse und die materialbedingt leichtere Farbigkeit geben ihnen gegenüber den Tempera-Studien und ausgeformten Werken etwas der Technik adäquat Fließenderes und bestehen aus einer Vielzahl von Bildfindungen und Würfen: die vom Künstler gefundenen und ausgeschnittenen Motive sind meist in ihrer Banalität klar definierte, vordergründig alten Sehgewohnheiten entsprechende Gegenstände, die ihrem gedachten Umfeld entnommen und neu definiert werden. 

Sie sind jedoch nicht aufgrund ihrer Funktion, sondern durch die ihnen eigene bloße Form gewählt und in zu definierende Räume von Reklamephotos oder mit Bleistift angedeutete und skizzierte Raumumrisse geklebt, übereinandergestapelt, verrückt und immer wieder nach spielbaren Formvarianten hin überprüft, um über Schatten Richtungslinien und Rhythmus für die Komposition anzustreben, dann in Gouachetechnik überarbeitet, um die Farbigkeit des ersten Entwurfs zu testen. Schließlich neu überprüft mit Rückgriffen auf das zusätzliche gestalterische Mittel etwa der Kohle, des Buntstiftes, der farbigen Kreide, bis sie jenseits des Spielerischen zur endgültigen Festlegung der Form und gleichzeitig Umformung/Loslösung aus der eigentlich zuerkannten Bedeutung gelangen, merkwürdigerweise mit den Mitteln eines subtil neu definierten Realismus, was den Dingen ein Losgelöstsein aus ihrer Funktion, schwebende Eleganz, Verfremdung und Rätsel gleichermaßen schenkt. 

Bestehen die frühen Gouachen im Bildgrund aus einer Vielzahl kleiner, sich wiederholender und überlappender Details (in der 1983 entstandenen Papierarbeit ROTE MAUER wölben sich Musikinstrumente über eine in die Mauer eingelassene Treppe, die den Blick auf eine Gartenanlage freigibt) baut Fred Maerker z. B. im Themenzyklus VISITE von 1996 seine Collagebasis dynamischer mit einer klar in sich geschlossenen Anzahl von Elementen und erzielt durch den farblich wie formal spannenden malerischen Gestus sowie die architektonische Gliederung der Innenräume (das Fenster als zentrales Bildelement, das die Form über den Schatten noch einmal als farbige Fläche neu zentriert) größte Ausdruckskraft von nahezu bedrohlich wirkender Dimension. Die Gegenstände des Alltäglichen verbünden sich in ihrer komponierten Form gegen den Raum dahinter und gehen mit ihm eine Art verschwiegener Gemeinschaft ein, die dem Betrachter die Loslösung herkömmlicher Sicht- und Interpretationsmuster aufzwingt, ihm - im wahrsten Sinne des Wortes - den zugestellten Blick entrümpelt. 

Er öffnet somit einerseits die Augen für das dahinterliegende eigenständig entwickelte Wesen einer Dingwelt, die unprätentiös den Gegenständen ihre Stille belässt, da sie ihrer funktionellen Bedeutung entfremdet werden und dadurch aus sich heraus einen neuen formalen Dialog unter- und miteinander beginnen. So verleihen die vergleichsweise unspektakulären Stilleben, die in sich durch ein auffallendes Kolorit und ein immer wiederkehrendes Inventar weniger Gegenstände miteinander verbunden sind, durch klare und sorgfältig gewählte Farbkontraste und die einfachen Formen ohne dramatische Überschneidungen den Kompositionen Würde und Ausgewogenheit. Gleichzeitig irritiert ein auf den ersten Blick merkwürdig unausgewogen erscheinendes Verhältnis zwischen Größe und Proportion der in Szene gesetzten Gegenstände gegenüber dem sie umgebenden Raum und die scheinbar gewollte Bedeutung derselben. Mittelalterlichen Darstellungen nicht unähnlich gewinnt die perspektivische Überzogenheit der Dinge durch die unterschiedliche Tarierung der Größen im Hinblick auf die darrunterliegende Bildebene ein Ungleichgewicht, als ob das Prinzip Zufall - gegen das sich Fred Maerker sowohl gestalterisch als auch verbal ausdrücklich wehrt - dem Künstler die Hand geführt hätte, um trotz der definierten Strenge des Aufbaus hervorzuheben und zu werten. Erfährt der Abstand im und zum Bild erst durch die Annäherung seine eigene Bestimmung? Oder hat der Mensch, dem im Werk Fred Maerkers so oft gänzliche Abwesenheit apostrophiert wurde, über den so hervorgehobenen Gegenstand (der ja in dieser neuen Form und subjektiven Präsenz etwas Personifiziertes in sich birgt) jenseits der ursprünglichen Funktion nicht doch eine ordnende wenngleich auch abwesend erscheinende Spur geprägt und hinterlassen? 

Es wäre jedoch eine irrige Annäherung an das Werk Fred Maerkers, in den Gouachen primär eine einfache Bildcollage oder Assemblage mit einer durch strukturale Lösungen erzwungenen narrativen Komponente zu sehen. Die Verkehrung und Gegenüberstellung des scheinbar Vertrauten stärkt im Gegenteil die Position des rein formalen Prinzips. 

Für den Betrachter eines so konzipierten Kunstwerks stellt sich das Problem, dass die gegensätzlichen Systeme miteinander zu konkurrieren beginnen. Hier liegt auch die Schwierigkeit der Deutbarkeit, da sich das Dargestellte ideengemäß nicht in letzter Schlüssigkeit repräsentieren muss und will. Die Dinge existieren über ihre formale Lösung und sind per Definition gleichzeitig Bestandteil einer allgemein gültigen Begriffs- und Formensprache (die Lampe als Lampe, das Sitzmöbel als Sitzmöbel), scheinen jedoch in ihrem vom Künstler gewollten Kontext "absolut nutzlos und unbenutzbar", als Rätsel, das sich jenseits der ihnen angestammten Realität einer rationalen Interpretationsweise entzieht. Dies funktioniert nur, wenn zwischen den Objekten auf dem Bild bei aller Verschiedenheit eine geheime Verbindung besteht. Zum Hafen gehören die Pfannen, zur Mauer die Bandbreite musikalischer Instrumente. Selbst wenn sich die Gegenstände unseren gesteuerten Denkmustern durch die Absurdität ihrer Verwendung im Bildträger entwinden, übernimmt die Farbe als zusätzliche Komponente den Part symbolischer Zuordnung. Wenn jedoch ein Bild das gewöhnliche Denken ausschalten soll, muss alles darauf spontan zu erkennen sein, sich allerdings einer klaren Deutung durch den Betrachter bewusst entziehen. Die Form agiert gegen die Funktion und hebt sie auf. 

Schon die Art und Weise, in der Fred Maerker seine Gegenstandswelt entwirft, trägt eine eigene Handschrift. Wenn in einer als HAFEN bezeichneten Landschaft übereinandergestapelte Töpfe stehen, ist dies zunächst eine fremde und überraschende Konstellation. Die Provokation in den Bild(er)findungen besteht nicht allein darin, dass hier Dinge in einem motivischen Zusammenhang gebracht werden, die von ihrer materiellen Dimension her unvereinbar scheinen, sondern dass die Kluft in keinen Sinnzusammenhang geführt, die Wahrnehmung unterminiert und die Logik dekonstruiert wird. Irritation ist eines der Mittel und Prinzipien, auf der die Kunst und somit Aussage Fred Maerkers fußt. 

In ihrer klaren Umrissführung, der ruhig wirkenden Geschlossenheit der Formen und einem überaus sorgfältig konzipierten Farbauftrag gehorchen die Gouachen zunächst in ihrem Aufbau den Gesetzmäßigkeiten akademischer Komposition. Diese "Klarheit der Darstellung", die sein gesamtes Werk charakterisiert, ist nicht etwa Ausdruck eines verkappten Traditionalismus, sondern bildet die Basis eines komplexen Bildkalküls. Nur in einer Bildwelt, in der die einzelnen Motive als konventionelle Abbilder gesehener Gegenstände erscheinen, kann die Frage gestalterischer Erfindung sinnvoll gestellt werden - die nach dem Sein der Dinge. Wenn Wahrnehmung in der äußeren Struktur der Gegenstände verhaftet bleibt, würden die Dinge zu Fragmenten ihrer selbst. Weder die Bilder, die wir uns von den Dingen machen, noch die Namen und Begriffe und Zudeutungen, die wir für sie erfinden, sind den Dingen wirklich angemessen. Was bleibt, ist das Rätsel ihrer Existenz in den Werken Fred Maerkers. Ihrer Funktion enthoben erscheinen sie trotz ihrer Präsenz verborgen in einem nicht definierten Ort, in dem starre Denkmuster keinen Zugriff haben.

 

Tiefste Ehrfurcht vor der Erscheinung 
und ihre Wiederholung oder Darstellung 
in Tiefe, Höhe und Breite des Bildraums 
ist notwendig. Dem Gesetz der Fläche 
folgend, die niemals durch falsche 
realistische Illusionstechnik durchbrochen 
werden darf, können wir dann ... dazu gelangen, 
uns selbst zu finden - uns selbst zu sehen im Kunstwerk.

Max Beckmann. Briefe an eine Malerin (1948) 
  

 
 

Angela Maria Piga: ... eine Art von privater Apokalypse ...

Rom, 14.03.1999


Von ihm selbst gesättigte Diskretion. Fehlen von atmosphärischem Raum. Dies ist das direkte, physische Zusammentreffen vor den Gemälden von Fred Maerker. Die verzerrten Umrisse, die bedrohliche Obliegenheit der Materie, geschwollen, jähzornig, bereit von der Linie und der Grenze des dargestellten Objektes auszubrechen, verwandeln die Figuren und Räume in übereinanderliegende Anhäufungen von Formen und Inhalten. Aus dem Gemälde treten diese Stilleben heraus, denen die Freiheit wiedergegeben wurde und sie dringen in den Lebensraum des Betrachters ein, wobei sie diesen in einem bizarren Zustand von Unbehagen und Perplexität lassen. Die Stille von Maerkers Gemälden ist keine friedliche Stille, da niemand da ist, der sie hören könnte: der Mensch ist nicht vorhanden. Maerkers Wohnungen, Zimmer und Straßen sind weder Orte, an denen man wartet, noch Orte, die verlassen sind. Keine Erinnerung, keine Gegenwart.

In der Kunst hat das Objekt immer dem Menschen gedient: der Künstler, der es bestimmt und der Betrachter, der durch die Art, in der das Objekt dargestellt wird, eine Vision der Welt des Künstlers erhält. Auch wenn dann das Objekt imitiert, zerstört, zerlegt oder hervorgehoben wird, so ist es doch immer das Ergebnis eines Willens, es existiert, da der Mensch beschlossen hat, es zu nutzen. So kann das Objekt über Jahrhunderte hinweg zu einem Zeichen der perfekten Harmonie des Menschen im Universum werden, so wie das Ei, das von Piero della Francesca auf dem "Altarbild von St. Bernhard" von 1472-74 dargestellt wird, reflektiert vom Licht der Zeit und Teil wie bei Vermeer, Verschärfung der Erinnerung wie bei Morandi, der Wille, die Subjektivität des Geschmacks zu annullieren wie bei Duchamp oder die Verkörperung des ES wie bei Louise Bourgeois, aber immer ist da ein ICH, das es vor ihn stellt oder das die Schicksale bestimmt.

Bei Fred Maerker geschieht dies nicht. Der Mensch ist verschwunden, geflüchtet, vielleicht unwissend der Gefahr, die eine sich selbst überlassene Maschine darstellt, die ohne Vater, ohne die Führung eines kreativen Willens, ins Schleudern gerät, verrückt wird, die elementarsten Kenntnisse des Raumes, der Farben, der Lichter, der Bewegungen verliert. Es ist die Drohung der Vermehrung des Objektes und der verlorenen Funktionalität: das Objekt "führt sich selbst", reproduziert sich ins unendliche, wie ein Klon und, unfähig einer Richtung zu folgen, löst es sich in pure Materie auf oder explodiert in dieselbe.

Die Missverhältnisse der von Maerker dargestellten Objekte, ihre übermäßige widersprüchliche Größe, werden wie eine Anomalie, ein genetischer Fehler, ein nicht programmierter Gigantismus.

Der große "Frosch" von Louise Bourgeois (1997), eine enorme Edelstahlskulptur mit einer Höhe von ca. 4 Metern, überrascht, aber sie beunruhigt nicht. Dies, weil die Proportionsskala, der Kontakt zwischen Künstler und Publikum erhalten bleibt. Die Industrietanks und –zysternen von Bernd und Hilla Becher bleiben immer traditionelle Modelle, romantische industrielle Dinosaurier, verfallen aber noch respektvoll gegenüber dem Menschen und der Harmonie, die er um sie geschaffen hat. In diesem Sinne entfernt sich das reflektierte, diffuse und zeitlose Licht auf den Fotografien der beiden Künstler nicht allzu weit von jenem von Piero della Francesca, da der Künstler in beiden Fällen den Schlüssel zum Lesen gibt, den Bezugspunkt, dank dem man die Botschaft messen und verstehen kann.

Maerkers Bilder haben keine Proportionsskala, da der Mensch – Künstler oder Betrachter – nicht vorhanden ist. Wer erhält die Botschaft, das "Maß" der Welt, wenn das Objekt, eingeschlossen in den nutzlosesten Solipsismus, niemanden mehr hat, der es annimmt und folglich niemanden mehr hat, der es betrachtet? Der Grund für das Unbehagen, das man vor diesen riesigen Dienstboten empfindet, liegt also in der Unmöglichkeit zu verstehen, ob das Objekt zu groß ist oder ob der Mensch zu klein ist. Welches ist das Maß? Befinden wir uns vor einer Vergrößerung, einem "Zoom" oder vor unserer Unfähigkeit der umliegenden Welt die Dimensionen zuzuweisen?

Die zeitgenössische italienische figurative Kunst hat in letzter Zeit, mit Erfolg, jene figurative Malerei der "Beobachtung" der Wirklichkeit aufgegriffen, die immer die Geschichte der italienischen Kunst charakterisiert hat. Auch diese Künstler – wie z. B. Bernardo Siciliano – zentrieren Details und Einzelheiten von Objekten oder gewöhnlichen Bauten ohne dabei jemals die Gesamtheit des Raumes darzustellen, so als ob sie die Wichtigkeit der subjektiven Vision des Künstlers bekräftigen, dies gegenüber der geforderten Objektivität eines Gemäldes, nicht aus der Realität, sondern "realistisch". Dennoch sind in diesen Arbeiten die Verkürzungen selbstzulänglich, abgeschlossen, enthalten im Willen des Künstlers, der deren Raum begrenzt, wobei er dem Betrachter die Gewissheit des dargestellten Momentes überlässt, auch wenn sie Teile einer nicht sichtbaren Gesamtheit sind.

Dieser Dialog, der Objekt und Betrachter versöhnt, existiert nicht in den großstädtischen Stilleben von Maerker. Die seinen sind keine Details, sondern Bruchstücke. Jedes Bild könnte sich unendlich ausdehnen, die Materie akzeptiert keine Schlichtung und keine vorbestimmten Formen mehr, sie geht vorwärts, legt sich auf den Betrachter, die Objekte obliegen und folgen ungeordnet, wobei eines in das andere stolpert, unsicher und disharmonisch, aber eben deshalb noch bedrohlicher. Und das, was diese täglichen Giganten – Bücher, Sessel, Kaffeekannen, Lampen – uns verraten ist bestürzend: das Objekt kann Fetisch, Erinnerung, Waffe, Wort werden, es kann das Leben bezeugen, aber nicht besitzen.

Wenn der Mensch also existieren kann und ohne das Objekt auskommen kann, ist dieses, statt dessen, passiv, es kann nicht ohne den Menschen existieren, es kann sich nicht selbst bestimmen, außer unberechenbare Katastrophen zu verursachen. Der Mensch kann mit dem Objekt spielen, es ganz vernichten, es reicht aus, zu beobachten, was bei Munch geschieht, bei dem die Dinge und die Natur komplett von der mentalen Gewalt des Individuums aufgelöst sind, wie in den Werken "Mädchen am Bettrand. Der Morgen" (1894) und "Die Augen in den Augen" (1894) oder er kann sogar in Symbiose mit ihm kommen, wie bei den grotesken Mensch-Maschinen von Fortunato De Pero.

Hier kommt auf irgend eine Weise die Frage, die die Futuristen gestellt haben zurück, von diesen einzigartigen Un-Ordentlichen, die es in der italienischen Kunst gab, eine Kunst, die dem Chaos und dem Zweifel immer die Ausgeglichenheit und die Darstellung vorgezogen hat, wobei Giotto gegenüber von Pisanello vorgezogen wurde, wie auch Piero della Francesca gegenüber von Paolo Uccello, Fetice Casorati gegenüber von De Pero. Es ist die Frage, die dem Marionetten-Menschen gestellt wird, dem Menschen, der noch über die Maschine herrscht und der sich, gefräßig und hungrig, danach sehnt, in das rhythmische Karussell des Fortschritts einzutreten, so sehr dass er selbst sich in das von ihm geschaffene Objekt verwandelt, wobei er sogar die physischen Züge annimmt. Welch ein Ende wird der Maschinen-Mensch haben?

Fred Maerker offenbart nichts, aber er suggeriert und unterstellt eine grauenvolle Antwort. In den Zimmern seiner Bilder, in jenen Ateliers, Wartesälen, Küchen, die nicht mehr zu identifizieren sind, hinter den Türen unserer Wohnungen geschieht, ohne dass wir es merken, eine Art von privater Apokalypse, ein kollektiver Wahnsinn, wo unsere Intimität stirbt und ein unkontrollierbares Monster wird. Der menschliche Intellekt, der Vater-Schöpfer, der Hausbesitzer war einen Augenblick zerstreut und jener Augenblick ist verhängnisvoll für ihn, da er bei seiner Rückkehr nichts anderes vorfinden wird, als die verrückt gewordene Materie, Objekte die von einem Menschen, der vielleicht nicht nur abwesend ist sondern auch untergegangen und definitiv verschwunden ist, nicht mehr verstanden werden.

  

 
 

Dr. Jürgen Schilling, Kunsthistoriker: Anmerkungen zu Gemälden Fred Maerkers

Ausstellung: Farbbad Galerie, Hamburg, 29. März bis 5. Mai 1985


Stilleben und Interieur, zwei traditionelle Bildgattungen, verschmelzen auf Fred Maerkers Gemälden zu ebenso dramatisch wie geheimnisvoll anmutenden Darstellungen. Er inszeniert Gegenstände und Situationen zu surrealen Konstruktionen, deren Inhalt und Form er ständiger Wandlung unterwirft und zugleich überprüft, indem er an Bild-Serien arbeitet, bewusst jede Arbeit in Konkurrenz zu vorausgegangenen oder gleichzeitig entstehenden setzt. Das galt für jene ins Überdimensionale vergrößerte "Bügeleisen", "Anspitzer" oder "Hefter", die nach dem Studium an der Braunschweiger Hochschule entstanden, wie für die nachfolgenden Reihen, die "Fahnen", die während eines einjährigen Aufenthaltes in London entstanden, die abstrahierten Seestücke, die er nach seiner Rückkehr erarbeitete, schließlich die Kompositionen von Fahrradteilen, Musikinstrumenten und die Hafenbilder aus jüngster Zeit. Maerker betrachtet die zum Motiv gewählten Gegenstände lediglich als Auslöser für seine Auseinandersetzung mit dem Medium Malerei, als Vehikel, ja als Vorwand für den bildnerischen Vorgang. An den dargestellten Fragmenten von Gebrauchsgegenständen entwickelt sich eine kompakte, im Hinblick auf Materialgebrauch und Kolorit raffinierte Malerei. Ein Thema wird beharrlich eingekreist, variiert, ohne dass eine Wiederholung spürbar wäre. 

Ähnlich den Kubisten, für die das Stilleben ein beherrschendes Thema war, dessen Besonderheiten sie auf andere übertrugen, gelangt Fred Maerker so zu einer umfassenden Beschreibung des Motivs, indem er es von allen Seiten zeigt, es zerlegt und verschachtelt, neu zusammenfügt. Er konstruiert eine anders gesehene Wirklichkeit. 

Besondere Aufmerksamkeit verwendet er auf den Farbauftrag. Schicht wird auf Schicht gelegt, langsam der Ölgehalt der Eitemperamischung gesteigert; die Gesamtwirkung ändert sich so ständig während des Mal-Prozesses. Schließlich überzieht er die matte, trockene Oberfläche des beendeten Werkes mit einer Mischung aus Leinenöl- und Dammarfirnis und erweckt so den Eindruck einer frischen Farbigkeit, wie er sie sonst nur selbst während des Malens erlebt. Den Binnenstrukturen gilt seine besondere Vorliebe, Schattenpartien etwa werden mit gleicher Sorgfalt durchgearbeitet wie die Lichtteile. Blautöne sind in sich vom Grau bis ins tiefe Violett aufgespalten. Der Reproduktion entziehen sich diese Feinheiten. 

Die Details seiner in Interieurs und - auf letzten Bildern - Außenarchitekturen eingearbeiteten Stilleben führen ein behutsames Eigenleben, sie verhalten sich in der vorgegebenen Räumlichkeit wie Personen, deren Verhalten, deren Schritte und deren Verharren festgehalten wird. Diese angedeuteten Bewegungen bestimmen gewisse Richtungsmomente innerhalb der Bilder, die - gegeneinandergestellt oder einander betonend - das jeweilige Objekt, also meist Gegenstände des häusliche Bereichs, zum Teil eines großen Ganzen werden lassen. Er erreicht, dass das Stilleben nicht als etwas Totes (natura morte - nature morte) erscheint, sondern voller innerer Steigerung erlebt wird, gestaltet mit und gegen perspektivische Gesetze durch die Regie des Lichts und die Kalkulation der Formen. 

Obwohl der Künstler einen bildnerischen Ausdruck findet, der seiner Generation, vielleicht gar dem viel zitierten "Zeitgeist" entspricht, stellen seine "gebauten", exakt konstruierten und komponierten Bilder doch eher eine Ausnahme im Bereich junger deutscher Malerei dar. Er verzichtet, bei aller Expressivität, die seinen Arbeiten innewohnt, auf spontane Äußerungen, vermeidet die flüchtige Geste. Vielmehr versucht er die Bildfläche durch elementare formale und farbliche Mittel zu organisieren und zu neuen Lösungen zu gelangen. Ruhig und verhalten in der Gesamtwirkung strahlen sie doch bei näherer und ausdauernder Betrachtung eine subtile Aggressivität aus. Bei aller Ausgewogenheit und Harmonie haben sie etwas Drohendes, Unheilvolles und Bedrückendes. 

Das Ausbalancieren der Form nimmt lange Zeit in Anspruch, das Bild verändert sich stetig; die Komposition ist nie festgelegt, obwohl Maerkers großformatige Leinwände am Ende eines langwierigen Prozesses der Bildfindung stehen. Während er sie früher in zeichnerischen Serien vorbereitete, verwendet er heute meist Werbefotos, die er daraufhin untersucht, ob sich in die vorgegebene Räumlichkeit seine Stilleben hineinkonstruieren lassen. Sie collagiert und übermalt er, Entwicklungsstudien entstehen, die zum Bildentwurf führen. Es ergeben sich so vom ursprünglichen Ausgangspunkt weitgehend unabhängige Kompositionen. Sind dann mehrere Variationen eines bestimmten Bildtypus gemalt, drängen sich Maerker aus dem kaum überschaubaren Themenangebot der alltäglichen Umgebung neue Objekte auf und er beginnt die Auseinandersetzung von neuem. 

Manches an Maerkers Bildern erinnern an Werke der metaphysischen Maler zu Beginn unseres Jahrhunderts, deren bedeutendster, Giorgio di Chirico, schrieb, sie hätten "das Reale heiliggesprochen ... wir aber kennen die Buchstaben des metaphysischen Alphabets. Wir wissen, welche Freude und welche Schmerzen ein Portikus, eine Straßenecke, ein Zimmer, eine Tischplatte, die Seiten einer Schachtel bergen". Und an anderer Stelle: "Man muss das Rätsel der Dinge lösen, die allgemein als unbedeutend angesehen werden. Alles, was auf der Welt existiert, muss wie ein Rätsel gemalt werden, nicht nur die 'großen Fragen', die wir uns ständig stellen." 

Dem Ding wird eine andersartige Qualität beigemessen, durch das Hineinversetzen in ungewöhnliche Beziehungen wird es verfremdet. Die Grundstimmung bleibt dennoch einfach und klar, obwohl die malerische Formulierung die Atmosphäre des Unerwarteten und der Ungewissheit steigert. 

Magische Stille liegt über Fred Maerkers Bildern. Die Vereinfachung der Formen gibt ihren Themen Würde. Vollgeladen mit Andeutungen, die sich im Dialog mit dem Bild erschließen, behalten sie doch den Kern ihres Geheimnisses für sich.

   

 
 

Alessandro Masi: Dipingere non è un reato, Fred Maerker ce lo ha insegnato

roma c'è DAL 30 MAR AL 5 APR 2000
"Fred Maerker, dipinti", Galleria Spicchi dell'Est, Via die Prefetti 46; fino al 13 maggio


Mit weit andauerndem Erfolg laufen die originellen sonntäglichen Eröffnungen der Galerie "Spicchi del'Est", mit deren Programm sich die Nummer 237 (unserer Zeitschrift) vom letzten November mit dem litauischen Künstler Stasy Eidrigevicus beschäftigte. Die interessanten Kulturbeiträge, die aus dieser Galerie einen Ort der Begegnung mit vielfältigen Kulturen und Künstlern, Strömungen machen, die in jenen Ländern mit jahrzehntelanger kommunistischer Herrschaft aufbrechen, haben das große Verdienst, das Europa der Kunst bekannt zu machen und einander näher zu bringen. 

Diesmal geht es um den deutschen Maler Fred Maerker (Soltau 1950), der zum ersten mal in Italien ausstellt. Nach einem Studium an der HBK in Braunschweig, Ausstellungen in Berlin, Göttingen, Hamburg, Nürnberg, München und Budapest. Zu Zeiten des Internets, des Medialen und Virtuellen, ist das Erstaunliche dieser Ausstellung, dass eine Malerei aus Malerei besteht, d.h. Farben, Leinwand und Pinselführung sind wahr, echt, real, hervorgebracht mit großer Passion für die Kunst und mit starkem Empfinden für die Form. Es ist tatsächlich interessant zu sehen, wie beim Werk von Maerker sich ein starker Wille zur zentralen Stellung des Künstlers zeigt, zu seiner Arbeit , seiner Zeit, ohne jegliche Frustration gegenüber konzeptioneller Technologie und Ideologie. Maerker drückt es so aus: Malen ist kein Verbrechen!

   

 
 

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kunstdirekt.net / Peter Eckardt